/ Mirian Margiani

Editorial | Aspiring Anthropologists

Aspiring Anthropologists

Wir freuen uns über neue Beiträge! Meldet euch mit oder ohne konkrete Idee bei der Redaktion.

Mirian Margiani | Ethnologie / Politikwissenschaft | Was ist „Aspiring Anthropologists“ und was möchten wir damit erreichen? Mit dem Pilotprojekt „Aspiring Anthropologists“ ermöglicht der Vorstand der Fachgruppe Ethnologie an der Universität Basel den Studierenden der Ethnologie und Anthropology, schon während des Studiums wertvolle Erfahrungen im Publizieren zu sammeln und die wissenschaftliche Zusammenarbeit im Peer-Review-Prozess zu üben.

Erstmalig erschienen in „Aspiring Anthropologists“ am 15. November 2023. Meinungen und Ansichten unserer Autor·innen entwickeln sich im Laufe ihres Ausbildungsprozesses weiter. Kontaktiere uns, um eine kritische Replik zu diesem Artikel zu veröffentlichen.

Vision

Ethnologie? Kaum ein anderes wissenschaftliches Fach hat sich derart mit der eigenen Geschichte auseinandergesetzt und ist an der eigenen untragbaren Vergangenheit so gewachsen. Kaum ein anderes Fach ist sich auch nur annähernd der eigenen Unstudierbarkeit so bewusst. Wer Ethnologie studiert, kommt unweigerlich an den Punkt, die Existenzberechtigung des eigenen Faches infrage stellen zu müssen, denn Ethnologie als wissenschaftliche Disziplin ist immer ein Kind ihrer selbst: eine von Menschen geschaffene Wissenschaft, die primär das menschliche Sein und damit sich selbst untersucht. Ethnologie trägt in ihrem Kern radikale Selbstreflexion, auch wenn sie äusserlich bei Laien den Anschein erwecken kann, es würde „Andersartigkeit“ studiert.

Um Ethnologie betreiben und schliesslich anderen vermitteln zu können, braucht es Fähigkeiten, die sich nur durch die Praxis erlernen lassen: Hier knüpft unser Blog-Projekt „Aspiring Anthropologists“ des Fachgruppenvorstands Ethnologie an der Universität Basel an.

Als Ergänzung zum Lehrangebot der Universität möchten wir unseren Mitstudierenden die Möglichkeit bieten, schon während des Studiums ihre ethnologisch-ethnografischen Fähigkeiten im Austausch mit anderen (angehenden) Ethnolog·innen und Nicht-Ethnolog·innen zu üben.

Neue Wege gehen

Unser Blog-Projekt ist ein Sandkasten zum Ausprobieren neuer Formate, zum Finden neuer Wege in der Vermittlung ethnografischer Inhalte und zum Entdecken neuer Perspektiven auf die ethnologische Wissensproduktion. Neugier und Experimentierfreudigkeit, Einfühlsamkeit und radikale Selbstreflexion zusammen mit Offenheit den eigenen Fehlern gegenüber sind die Fähigkeiten, die wir fördern und unterstützen möchten.

Können dabei „schlechte“ Artikel entstehen? Patzer, Fettnäpfchen und Fehltritte? Natürlich! Denn genau das ist Teil des Lernprozesses, und kein einzelnes Produkt ist darin entscheidend, sondern der Umgang damit und das Lernen aus den eigenen Fehlern. Dafür ermutigen wir alle, die von einem Artikel zum Nachdenken angeregt wurden, eine Replik zu verfassen: vollwertige Artikel, in denen konstruktiv und kritisch auf einen anderen Artikel eingegangen wird. In diesem wissenschaftlichen Austausch üben sowohl die Autor·innen der Artikel als auch die Autor·innen der Repliken die Grundpfeiler der Ethnologie, der wissenschaftlichen Arbeit und des Publikationsprozesses.

Selbstverständlich behalten wir uns vor, eingereichte Artikel respektive Repliken nicht zu veröffentlichen, wenn sich im Austausch mit den Autor·innen keine befriedigende Lösung für gravierende Mängel finden lassen konnte: Ist ein Artikel beispielsweise rassistisch, verletzend oder verhetzend, werden wir ihn nicht veröffentlichen. Gleichzeitig sind wir uns unserer eigenen Fehlbarkeit bewusst und sind immer offen für konstruktiven Dialog. Auch wir sind angehende Ethnolog·innen, stehen im Ausbildungsprozess und leiten dieses Projekt, um unsere eigenen Fähigkeiten zu schulen. Bemerkungen, Rückmeldungen, konstruktive Kritik? Wir freuen uns über anregende Gespräche!

Ich möchte beitragen! Was nun?

Unser Projekt befindet sich noch in seinen Kinderschuhen und wir sind dringend auf der Suche nach Studierenden und Dozierenden, die sich auf allen Stufen des Veröffentlichungsprozesses beteiligen möchten. Wir legen gleich grossen Wert auf Inhalt, anonymes Peer-Review und Lektorat, und suchen deshalb nicht nur nach Autor·innen, die ihre Artikel bei uns veröffentlichen wollen – Lektorat und anonymes Peer-Review sind spannende und zentrale Aufgaben, die den wissenschaftlichen Prozess von einer anderen Seite erlebbar machen. Wer also neue Herausforderungen sucht: bitte bei uns melden!

Kreditpunkte und Leistungsnachweise

Wir haben mit den Dozierenden am Ethnologischen Seminar ausgehandelt, dass für Blogbeiträge Kreditpunkte vergütet werden können, wenn sie als Leistungsnachweis im Rahmen einer Lehrveranstaltung oder per Learning Contract geschrieben werden. Diese Möglichkeit besteht bisher nur für eigenständige Artikel und nicht für Lektorat oder Peer-Review.

Es lohnt sich also, bei jeder Lehrveranstaltung mit den Dozierenden zu besprechen, ob der Leistungsnachweis in Form eines Blogbeitrags erbracht werden darf – sei es in einem (Pro-)Seminar, einer Übung oder einer anderen Veranstaltungsform. Für euch als Autor·innen bietet sich damit die Chance, wertvolles Feedback nicht nur von anderen Studierenden, sondern auch von Dozierenden zu erhalten.

Fach- und universitätsexterne Beiträge

In seinen Anfängen richtet sich unser Projekt vornehmlich an Studierende der Ethnologie auf Bachelor- oder Master-Niveau an der Universität Basel. Wir freuen uns natürlich auch über Eingaben von Studierenden anderer Fächer oder von anderen Ausbildungsstätten, werden fachinterne Artikel aber bevorzugt veröffentlichen, bis sich die redaktionellen Prozesse und das Blog-Projekt als Ganzes ein wenig etabliert haben. Trotzdem gilt auch für „Externe“: ungeniert bei uns melden!

Mut zur Fehlbarkeit

Wer einen Artikel für unseren Blog schreiben möchte, findet sich womöglich schon bald in einer verzwickten Lage wieder: „Ich studiere Ethnologie und habe mich eingehend mit Selbstreflexion über mich und mein Fach beschäftigt. Wie kann ich da überhaupt etwas schreiben, ohne alles und jede·n zu verletzen?“ Wer sich der eigenen Schwächen und der Knackpunkte im eigenen Fach bewusst ist, kann leicht von übergrosser Vorsicht gehemmt werden. Kein Problem! Das darf in unserem Blog geübt werden.

Oder unsere potenziellen Autor·innen denken sich: „Ich studiere Ethnologie und weiss daher, wie ich mit allen erdenklichen Themen umgehe. Jetzt sage ich der Welt meine Meinung!“ Wer sich mit tiefgreifender Selbstreflexion, dem Erkennen der eigenen Schwächen und der Knackpunkte im eigenen Fach noch schwertut, studiert wahrscheinlich noch nicht lange genug Ethnologie. Auch das ist legitim! Auch das darf in unserem Blog geübt werden.

Wie kann ein neuer Artikel also angegangen werden? Wir empfehlen, auf einer simplen Leitfrage aufzubauen: Wie würde ich reagieren, wenn „xy“ über mich geschrieben würde? Gefolgt von: Welche äusserlichen und emotionalen Auswirkungen hätte das Geschriebene auf diejenigen, die als Forschungspartner·innen oder Informant·innen an der Produktion des Textes beteiligt oder vom Geschriebenen betroffen1 sind – insbesondere im Hinblick auf unsere unterschiedlichen historischen und sozialen Kontexte? Diese Leitfrage und ihre Folgefrage eignen sich für alle Medien: Ein Artikel muss nicht ein geschriebener Text sein – die Fragen können sich genauso auf Fotos, Videos oder andere Formen ethnologisch-ethnografischer Wissensproduktion beziehen. Zentral ist, die eigenen voreiligen und unüberlegten Reflexantworten nicht zu akzeptieren, sondern tiefer zu schürfen. Wichtig ist, dabei nicht zu vergessen, dass jedes ethnologisch-ethnografische Werk von der subjektiven Realität der Verfassenden abhängt, und die Autor·innen also selbst auch Teil der „beschriebenen“, im Austausch (re-)konstruierten Wirklichkeit sind. Natürlich können die Fragen nicht abschliessend beantwortet werden und natürlich reichen sie nicht aus – aber sie sind ein unumgänglicher Anfang.

Ethnologie entsteht immer im Austausch mit einem Gegenüber und der gemeinsamen Umgebung, egal ob Menschen, andere Lebewesen oder abstrakte Zusammenhänge im Fokus stehen. Zusammenarbeit, Einfühlsamkeit, Offenheit und insbesondere die Offenheit, die eigene Position sowie Positionalität zu hinterfragen, zu ändern und ganz neu zu (be-)greifen, stehen dabei im Zentrum2.

Im Zweifelsfall gilt immer: darüber reden! „Ich habe einen Text verfasst und ich bin mir nicht sicher, ob ich das so sagen kann?“ Redet mit Menschen aus möglichst verschiedenen Kontexten, mit uns in der Redaktion, mit anderen Studierenden oder Dozierenden und natürlich mit den Menschen, die Teil eurer Arbeit sind! Behaltet dabei im Hinterkopf: Es ist in Ordnung, Fehler zu machen, und es ist genauso in Ordnung, die eigene Weltsicht zu ändern. Es ist auch keine Schande, einen Text nicht zu veröffentlichen oder später einen weiteren Artikel zu schreiben, in dem über den ersten reflektiert wird. Ethnologie ist ein Lernprozess.

Ausblick

Unser Blog-Projekt „Aspiring Anthropologists“ ist ein Experiment – ein Experiment für eine selbstkritische und reflektierte Ethnologie und ein Experiment für ein praxisnahes Studium in Basel. Wir möchten unseren Mitstudierenden die Chance geben, schon während des Studiums den wissenschaftlichen Publikationsprozess kennenzulernen und ihre ethnologisch-ethnografischen Fähigkeiten zu trainieren: Nichts entsteht in einem kontextfreien Raum und wir möchten daher alle einladen, mit Mut zur eigenen Fehlbarkeit, mit Einfühlsamkeit, Selbstreflexion und Offenheit in unserem Blog neue Wege zu erkunden!

Wir laden alle Studierenden herzlich ein, mit neuen Formaten zu experimentieren oder ihr klassisches Schreibtalent zu schärfen. Wir laden ebenso alle ein, ihre argumentativen Fähigkeiten zu üben und konstruktiv-kritische Repliken zu verfassen, in denen andere Artikel hinterfragt und reflektiert werden.

Im Zentrum stehen dabei immer die ethnologischen Kernkompetenzen und der Mut, Neues auszuprobieren. Wir freuen uns auf zahlreiche Beiträge und einen regen wissenschaftlichen Austausch!

Haben wir dein Interesse geweckt? Du studierst Ethnologie und schreibst gerne oder möchtest es üben? Wir laden dich herzlich ein, dich zu beteiligen!

Melde dich bei uns mit oder ohne konkrete Idee für einen Text, bei Fragen oder Anregungen! Alle Details findest du hier auf unserer Webseite: Mitmachen, Häufige Fragen.

Fussnoten

1 Dazu zählt auch, wenn im Zuge ethnografischer Forschung direkt über Menschen oder ihre Lebensweisen und -umstände gesprochen wird. Wie würde sich eine Person aus dem betrachteten Kontext fühlen, wenn sie meinen Text liest und mir zufällig auf der Strasse begegnet? Hier muss natürlich zwischen einem wissenschaftlich-kritischen, nicht beschönigenden Ansatz sowie einem unsensiblen, ethno- oder egozentrischen Ansatz unterschieden werden. Dies kann zu einer Gratwanderung werden – und darf in unserem Blog-Projekt geübt werden.

2 Allen, die sich weiter damit auseinandersetzen möchten, sei ein Studium in den Sozialwissenschaften (wie Ethnologie) empfohlen. Getraut euch, „dumme“ Fragen zu stellen und fühlt euren Dozierenden auf den Zahn: „Ich bin mit dieser oder jener Situation konfrontiert – wie gehe ich damit forschungsethisch um?“ oder „Mit welchen forschungsethischen Knackpunkten hattet ihr in eurer eigenen Feldforschung zu kämpfen?“ sind gute Ausgangsfragen, um die eigene beschränkte Perspektive zu erweitern. Bei Unsicherheiten ist „darüber reden“ immer die beste Option.

Diesen Artikel zitieren

Margiani, Mirian (2023): Aspiring Anthropologists: Das Blog-Projekt der Fachgruppe Ethnologie in Basel, in: Aspiring Anthropologists Basel, Jg. 2023.


Aspiring Anthropologists

Mit diesem Blog-Projekt ermöglicht die Fachgruppe den Studierenden der Ethnologie und Anthropology in Basel, schon während des Studiums wertvolle Erfahrungen im Publizieren zu sammeln und die Zusammenarbeit im Peer-Review-Prozess zu üben.

Die Inhalte dieses Blogs werden von Studierenden verfasst und spiegeln Schritte im Ausbildungsprozess wider. Unsere Autor·innen vertreten ihre persönlichen Meinungen, die nicht unbedingt von der Fachgruppe Ethnologie geteilt werden, sich im Laufe des Lernprozesses verändern können und sich auch weiterentwickeln werden.

Hat dieser Beitrag Ihr Interesse geweckt? Haben Sie konstruktive Kritik oder möchten weiterführende Gedanken hinzufügen? Wir würden uns freuen, Ihre Replik zu veröffentlichen!

Schreibenden Hände zur Dekoration

Redaktion
Fachgruppe Ethnologie